LETZTER TEIL UBUNTU? UBUNTU! MENSCHLICHKEIT!
Die nichtchristliche Rednerin rezitiert recht ruhig –in einem nichtkuppelförmigen Gotteshaus vor einer nichtmuslimischen Audienz– eine aus muslimischem Munde stammende Botschaft: „Der Beste von uns ist nicht derjenige, der den besten Numerus Clausus erwarb. Der Beste von uns ist derjenige, der heute und hier hinausgeht –aus diesem Hause Gottes– und sich in den Dienst der Menschen stellt.“
Trotz dieser paradoxen Begebenheiten, trotz höllisch-heidnischer Botschaftsverkündung bei befestigtem Kruzifix, hielt ich meine Abiturrede –und das nicht aus Trotz. Zum letzten Mal stand ich vor meinen vom Schuldienst entlassenen Kameraden. Stand und setzte zwei Botschaften zum ersten Mal: Die eine auditiv, sich vom Schul- in den Menschendienst zu stellen. Die andere aber war eine visuelle Botschaft. Eine, mit der ich insgeheim die Hypothese zu Beginn des NSU-Prozesses pulverisierte. Die, dass dieses kontroverse Kreuz eine Bedrohung für alle Nichtchristen sei. Meine Herzfrequenz war trotzdem erhöht. Aber nicht aus Angst vor dem reglosen, religiösen Symbol. Auch nicht, weil ich wieder vom schwarz-weißen Blatt aufsah zum kunterbunten, kugelrunden und klassischen Kirchenfenster. Weder christliche Symbolik noch abendländische Architektur sind eine Bedrohung.
Beim Besinnen an die damalige abenteuerliche Abschlussrede erweckt die regenbogenfarbene Rosette Erinnerungen an meine ehemaligen Englischstunden: Regenbogen –rainbow, rainbow nation. ‚A rainbow nation at peace with itself and the world’. Peace. Pluralism. Justice. Freedom. Fraternity. Liberty. Equality. Dignity. Humanity. Multiculturalism. Madiba.
Mutiger Mandela. Demütiger Diener im Dienste der Menschen –leidenschaftlicher Löwe und legendäres Leitbild meiner Abiturbotschaft. Damit die obigen Oberbegriffe wie ein allmächtiger Wasserfall durch die Menschheit strömen, verweilte der afrikanische Löwe in einer Kapstadter Terrorzelle. Damit diese dagegen den Bach hinuntergehen, verwesten hinterlistige Hyänen und hämische Haifische in einer Zwickauer Terrorzelle.
Manch ein Mensch stellt sich in den Dienst der Menschen und unzählige Unmenschen in den Dienst ihresgleichen. Die einen ziehen Streichhölzer aus der Schachtel, um Schutzschatullen mehrsprachiger Mieter zu zünden. Andere aber streichen jene Zündköpfe über die Reibfläche, um mit funkelnden Friedensflammen den früh Fortgegangenen zu gedenken. Unzählige Unmenschen kriechen wie übles Ungeziefer, wie mafiöse Maulwürfe in den Untergrund und manch ein Mensch legt sich im NSU-Prozess auf den Boden – nein, nicht aus Angst vor dem kriminellen Kreuz, sondern um das tote Bild seines kalten Kindes mit seinem lebenden Leibe zu zeichnen.
„Ubuntu? Ubuntu! Ubuntu!“ , hätte hiernach der afrikanische Löwe den hinterhältigen Hyänen im Gerichtssaal in die Herzen gebrüllt. „Ubuntu! Ubuntu!“, erneut. Ein afrikanischer Ausdruck und des Löwen Lebensphilosophie –die Philosophie der Humanität und Solidarität. Des lautstarken Löwen größte Gabe und Erkenntnis, dass Menschen durch ihr Menschsein wie ein unsichtbares Band miteinander verbunden und sie somit alle eins sind –der Menschlichkeit verpflichtet. Aus diesem Gerichtssaal –dem Hause der Gerechtigkeit– wäre der legendäre Löwe nicht hinausgegangen, ohne mit der Farbe ‚Ubuntu‘ das gezeichnete Bild des verlorenen Vaters breit zu bemalen. Aus dem Hause der Menschen ist er hinaufgegangen, als ein Diener für die Menschheit –als einer der Besten.
Damit diese Farbe –die Farbe der Menschlichkeit, Barmherzigkeit und Nächstenliebe, der Vergebung und des Friedens, die Farbe des Pluralismus, der Gerechtigkeit und Freiheit, der Brüderlichkeit, Ebenbürtigkeit und der Würde– damit diese Farbe nicht verblasst, bekundete einst der Löwe Gottes: „Der Beste von uns ist derjenige, der sich in den Dienst der Menschen stellt.“