In einem gerade einmal 107 Wörter langen Bild-Kommentar, besser Pamphlet, vom 27.07.2014 beschreibt der stellvertretende Chefredakteur der „Bild am Sonntag“ (BamS), Nicolaus Fest, den Islam als „Integrationshindernis“. Der Beitrag löste einen Shitstorm aus. Nicht nur wurde via Facebook und Twitter von überall her fleißig kommentiert. Auch herrscht anscheinend in der Chef-Etage der Bild selbst keine Einigkeit über dieses Thema. Von Souher Nassabieh
Pauschaulurteile und Sensationalismus – Wie sehen konstruktive Dialoge aus?
Wenn wir in einen Dialog treten, dann kann dies aus unterschiedlichen Motiven heraus geschehen. Und auch wenn ich meine Meinung kundtue, so kann ich dies auf verschiedene Weise tun. Wenn meine Motive seriöser und meine Ziele konstruktiver Natur sind, so werden meine Wege und Äußerungen dementsprechend sein. Und wenn ich andere Motive und Ziele verfolge, so spiegeln sich diese ebenfalls in meinen Wegen und Äußerungen wider.
Auch wenn man Michael Wolffsohn nicht überall zustimmen mag, eines sagte er zutreffend: „Gut meinend, wenig wissend, stark wertend – so verlaufen die meisten Diskussionen über den israelisch-arabisch-palästinensischen Konflikt.“ Allerdings lässt sich dies nicht nur auf den genannten Konflikt alleine beziehen, sondern ist ebenso gut auszuweiten auf diejenigen Themen, die große Spannungen in den Gesellschaften beherbergen und die Ängste und Sorgen der Menschen treffen. Und da die Menschen zu Einfachheit und schnellen Lösungen neigen und das System der Mediendemokratie diese Denkweise fördert, sind Urteile, die schnelle Problemortungen und -lösungen bieten, auch gern gehört. Kurzum: Populismus hat hier einen guten Nährboden.
Das Islambild in den Medien
Wer einen Blick durch die deutsche Medienwelt wirft, wird es nicht schwer haben zu erkennen, welches Bild vom Islam gezeichnet wird. In den deutschen Talk-Shows zieren Themen wie „Allah statt Grundgesetz“ die Sendungen. Im Spiegel – das auflagestärkste wöchentliche Nachrichtenmagazin Europas, finden wir Überschriften wie ,,Allahs blutiges Land“, ,,Der Heilige Hass“, ,,Allahs rechtlose Töchter“, im Focus ,,Die Multi-Kulti-Lüge“, ,,Unheimliche Gäste“, im Stern ,,Der Islam – Warum wollen sie uns töten“ und ,,Frauen im Islam – Wie sie im Namen Allahs unterdrückt werden – und sich dagegen wehren“.
Thilo Sarazzins Buch ,,Deutschland schafft sich ab“ gehört mit einer Auflage von mehr als 1,5 Millionen zu den meistverkauften Sachbüchern der Nachkriegsgeschichte.
Und in diese Reihe dürfen sich auch die Boulveradblätter hinzugesellen, allen voran die Bild-Zeitung – die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands mit einer Reichweite von 12,31 Millionen Lesern! Nur eine unter vielen Medien des Springer-Verlags.
Wem dient Populismus?
Ob Populismus, gerade in Bezug auf sensible Themen, ein Zeichen von seriöser Lösungssuche ist, kann nur als rhetorische Frage angesehen werden. Denn der Nutzen ist gleich null, wenn man von den Negativ-Folgen einmal absieht.
In seinem Kommentar beschreibt der „religionsfreundliche Atheist“ und stellvertretende Chefredakteur der BamS den „Islam als Integrationshindernis“. Betrachten wir doch einmal Fests Kommentar etwas näher.
Ein Blick auf Fests Bild-Kommentar
Das augenfällige ist zunächst, dass Fest Ursache und Wirkung nicht im Geringsten zu interessieren scheinen. Wenn er schreibt, ihn störe „die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund“, dann setzt er die Religion als Ursache dieser Kriminalität voraus. Als ob diese Jugendlichen nur kriminell wären, weil sie Muslime sind! Es ist eine Sache, Zahlen vor sich zu haben, aber eine ganz andere diese richtig auszuwerten und zu interpretieren.
Als Beispiel: Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wurden im Jahr 2012 in Deutschland 5.961.662 Straftaten polizeilich registriert, wovon allein 40 Prozent auf Diebstahlsdelikte zurückzuführen waren. Die Gewaltkriminalität – und diese Art von Kriminalität assoziiert man sehr wahrscheinlich mit dem Islam – betrug 184.847 Fälle, wovon wiederum allein 30,6 Prozent unter Alkoholeinfluss verübt worden sind. Alkohol, der dem Islam gemäß verboten ist.
Fest zeichnet ein Islambild, das keines ist
Und wie sieht nach Fest die Religion des Islams aus? Hier fallen Stichworte wie „totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle“, „Zwangsheiraten“, „Friedensrichter“, „Ehrenmorde“, „antisemitische Pogrome“ und „importierte[r] Rassismus“. Da fragt man sich, wo man anfangen soll…
Zunächst und das ist ein zentraler Punkt: Die Taten von Menschen muslimischen Glaubens müssen eindeutig getrennt werden von den Lehren der Religion, der diese Menschen angehören. Denn weder spricht sich der Islam für so genannte Ehrenmorde aus, noch für Zwangsheiraten, Antisemitismus, Rassismus und schon gar nicht für die Verachtung der Frau! Selbst was die Homosexualität angeht, finden wir im Islam besondere Regelungen. An dieser Stelle kann man Herrn Fest getrost einen hohen Grad an unverschämter Pauschalisierung vorwerfen!
Vielleicht wusste Herr Fest nicht
… dass der Islam von einer Gleichheit von Mann und Frau ausgeht und der Prophet dereinst sagte: „Die besten Männer von Euch sind jene, die sich ihren Frauen und Töchtern gegenüber am besten verhalten“ und gerade er es war, der das damals das gängige Töten von weiblichen Neugeborenen verurteilte.
… dass Bilal ibn Riba, ein ehemaliger Sklave aus dem heutigen Äthiopien, der erste Gebetsrufer des Islam war.
… dass der Islam das Christentum und das Judentum zu den so genannten „Schriftreligionen“ zählt, die z.B. innerhalb eines islamischen Gemeinwesens auf ihre religionsspezifischen Regelungen zurückgreifen können oder keiner Wehrpflicht unterliegen.
… dass die Homosexualität im Islam nicht geleugnet wird, aber ihre Ausübung als eine große Sünde gilt. Hier muss man verstehen, dass diese Grenze als von Gott angesetzt gesehen wird und Gott als allwissend gilt. Dabei sind nach bestimmten islamischen Auffassungen Geschlechtsumwandlungen erlaubt.
Die Intoleranz des selbsternannten religionsfreundlichen Atheisten
Fest beschreibt sich als toleranten Menschen gegenüber von Religionen, aber beim Islam stößt seine Toleranz an ihre Grenzen.
Nun gut. Es ist jedem erlaubt seine Meinung zu haben. Und dieser Artikel dient nicht dazu, Probleme wegzureden, die die Muslime in den eigenen Reihen haben.
Aber es bleibt eine andere Sache, auf welche Art und Weise die öffentliche Diskussionskultur geführt wird, weil hieraus Konsequenzen für die Gesellschaft und einzelne Menschen resultieren. Und gerade wer sich an die Öffentlichkeit wendet und eine ganze Religionsgemeinschaft mitsamt ihren Lehren als nicht haltbar hinstellt, muss auf einen tatsachengemäßen und differenzierten Inhalt achten. Andernfalls macht er sich nämlich der Volksverhetzung schuldig.