Was macht diese Frage falsch?
Die Eingrenzung „Deutscher“.
Die Bezeichnung „Deutscher“ ist hier doch der erste Schritt zur Unterscheidung und Kategorisierung der Menschen hinsichtlich dieser Angelegenheit. Und noch schlimmer, die Bezeichnung „Deutscher“ in der obigen Frage geht doch schon vom System aus, dass Nationalitäten nicht gleichermaßen zu gewissen Haltungen tendieren (sollten) und deshalb speziell der Fall als „Deutscher“ hervorgehoben werden muss. Das ist Blödsinn.
Denn die Frage muss wenn überhaupt lauten, wie man als Mensch mit dem Konflikt umgeht. Eine Nationalität ist doch nicht zu einem „nationalitätstypischen“ Umgang verdonnert. Jemand, der das „Glück“ hatte, in ein bestimmtes Volk hineingeboren zu werden, darf doch nicht weniger privilegiert in seiner Freiheit sein als Menschen eines anderen Volkes, wenn es um die Parteiergreifung in Debatten geht.
Anscheinend wollen das viele Deutsche nicht einsehen und alle anderen Nationen, Gruppen oder Völker, die denken, dass an ihren Händen das Blut klebt, das ihre Großväter und Vorfahren vergossen.
Angela Merkel sagte vor anderthalb Jahren (anlässlich der Deutsch-Israelischen-Konsultationen), dass die deutsche Regierung stets an der Seite Israels sein wird.
Nun gibt es – nochmal anlässlich des aktuellen Konfliktes – folgende Erklärung der Bildzeitung*: „Wer als Deutscher die Lehren und die Verantwortung aus dem Holocaust ernst nimmt, dessen Platz muss immer an der Seite Israels sein, wenn die Existenz des jüdischen Staates bedroht ist.“
Das alles, nachdem schon israelische Politiker der Meinung waren, man dürfe erst recht nicht als Deutscher im israelischen Parlament und erst recht nicht auf deutscher Sprache gegen die israelische Siedlerpolitik sprechen (Stichpunkt: Schulz-Rede).
Es scheint sich ein Verhältnis zwischen „Deutsch sein“ und dem Staat Israel festgelegt zu haben.
Vereinfacht: Ein Deutscher muss im Nahostkonflikt aus Prinzip auf der Seite des Staates Israel sein.
Was ist das verblüffende an diesem Prinzip?
Während dieses Prinzip die deutsche Nation schnellstmöglich vom Nationalsozialismus distanzieren soll, katapultiert sie die Deutschen direkt ins nationalsozialistische Gedankengut zurück.
Wieso?
Ganz einfach: Dass jemand die bloße Zugehörigkeit eines Menschen zu einer bestimmten Ethnie oder zu einem bestimmten Volk als Bedingung festsetzt, die diesen Menschen zu einer gewissen politischen Haltung oder zu einer internationalen Stellung verpflichtet, ist das Prinzip, mit dem die Faschisten im zweiten Weltkrieg auf die Welt und ihre Völker schauten.
Sie schauten auf die Welt mit Augen, die die Menschheit in Ethnien und Rassen unterteilten und denen jeweils bestimmte Stellungen zugeschrieben wurden.
Jedes Volk war aus seiner vermeintlichen ethnischen oder historischen „Minderwertigkeit“ oder „Besonderheit“ dazu verdonnert, gewisse Stellungen einzunehmen – ob gesellschaftlich oder weltpolitisch. Jetzt sollen die Deutschen, weil sie deutsch sind, zu einer Stellung verpflichtet werden? Wir haben doch noch nicht einmal geklärt, wann jemand „Deutsch“ ist.
Was ist denn überhaupt die „deutsche“ Gemeinsamkeit zwischen den Nazis aus dem Weltkrieg und den heutigen Bürgern Deutschlands?
Lediglich die deutsche Sprache und der Boden.
Das sind in der Tat die einzigen zwei feststehenden Gemeinsamkeiten, denn inwiefern herrscht die „Zugehörigkeit zum selben Volk“, wenn ein Volk nach 70 Jahren fast vollständig aus anderen Menschen besteht? Die Menschen eines Volkes sind mit der Zeit immer neue und das einzige, was sie mit den Menschen vor ihnen verbindet, ist die Sprache und in der Regel das Land, in dem sie leben (zwei Gemeinsamkeiten, die nicht unbedingt zwischen der Mehrheit der Juden von damals und heute existieren).
Und diese knappen Gemeinsamkeiten reichen nicht als Transmitter aus, der uns die Fehler vorheriger aufträgt.
Bei wem entschuldigen wir uns heute, indem wir in jedem Konflikt auf der israelischen Seite stehen? Etwa bei den Holocaustopfern? Mit Kriegstreiberei und -aufrüstung entschuldigt man sich bei keinem Kriegsopfer.
Ein Deutscher heute ist einem Juden nicht mehr und nicht weniger verpflichtet, wie es jeder andere ist und ein Deutscher ist einem Juden auch nicht mehr und nicht weniger verpflichtet, als er es einem anderen ist.
Verpflichtet sind wir zu Respekt und Toleranz und Respekt und Toleranz müssen wir unabhängig von Nationalitäten und Ethnien walten lassen. Privilegieren wir bestimmte Völker, handeln wir ungerecht, da man keinen bevorzugen kann, ohne einen anderen benachteiligen zu müssen. Tut man dies doch, dann muss es heißen, dass man ein Volk höher einstuft als das andere und das ist Faschismus.
Und begründet man dies damit, dass man den Juden aufgrund der tragischen Vergangenheit in besonderer Weise verpflichtet ist, frage ich erneut: Ist also erstmal ein Genozid an 6 Millionen Menschen eines anderen Volkes nötig, damit sie gleich viel respektiert werden?
Doch zurück zu Merkel und zur BILD.
„Immer […]“, Frau Merkel, „[…] an der Seite Israels sein“, bedeutet auch, dass man das auch dann ist, wenn Israel falsch handelt und wenn es das Volk nicht einmal will.
Die BILD sagt zwar noch: „Müssen wir deshalb alles gut finden, was die israelische Politik tut? Müssen wir zu Israels Vorgehen schweigen, selbst wenn wir der Meinung sind, dass die militärischen Interventionen möglicherweise genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie eigentlich erreichen sollen – nämlich die Sicherheit der Menschen im Land zu garantieren?“
Wer ist auf die Antwort gespannt?
„Nein, müssen wir natürlich nicht.“, sagt die BILD. Bis hier hin Respekt! Auch wenn davon wenig in ihren Artikeln zu sehen ist.
Doch der Rest hat echt nochmal alles versaut und Aussagen wie folgende sind überhaupt der Anlass meines Artikels: „Wobei es eine ganz andere Frage ist, ob ausgerechnet wir Deutschen mit unserer, dem Holocaust für immer verbundenen Geschichte die Richtigen sind, ausgerechnet dem jüdischen Staat Ratschläge zu geben, wenn es um die Verteidigung des Lebens seiner Bürger geht.“
Da habt ihr es schwarz auf weiß, das festgelegte Verhältnis zwischen „Deutschsein“ und Israel. Das ist Rassismus in meinen Augen!
Eine Frage bleibt aber noch offen. Was kann man nun aus dem tragischen Holocaustund dem zweiten Weltkrieg lernen?
Dass sich ein dritter Weltkrieg nicht lohnt. Dass kein Mensch aufgrund seiner Ethnie oder Religion weniger oder mehr wert ist als andere.
Und dass jeder Mensch Freiheit genießen soll… Insbesondere in seiner Meinungsbildung.
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http://www.bild.de/news/standards/bild-kommentar/niemals-wieder-36966568.bild.html