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Wenn Schamkultur auf Schuldkultur trifft. Oder: Rechtfertigt euch gefälligst für den IS

Jasmin Mazraani

In den letzten Wochen wurde es immer lauter: Die Muslime sollen sich doch bitte von den Machenschaften des Islamischen Staates, kurz: IS (früher ISIS), distanzieren. Schon allein der immer wandelnde Name dieser Gruppierung drängt Muslime in die Erklärungspflicht. Es gab gar internationale Aktionen, wo Muslime glauben machen wollten, dass der IS diese Dinge nicht in ihrem Namen tut.

Euer Gott, euer Prophet und euer Quran werden von solchen unbarmherzigen, skrupellosen und sadistischen Terroristen genutzt. Da muss es doch was im Islam geben, was solche Menschen mit diesem Terrorismus irgendwie erschafft. Schließlich sind wir Zeuge dessen seit Jahren. Überall wo es Krieg und Totschlag gibt, mischen Muslime in irgendeiner Weise mit. Der Focus hat gar die acht unangenehmen „Wahrheiten“ des Islam für jeden dargestellt. Der Islamkritiker Hamed Abdul Samad hat bspw. einen Faschismus in der Lehre des Islam erkennen wollen. Rechtfertigt euch also!

Dieser Drang, den man anderen aufdrängt, dass sie sich was eingestehen oder von etwas distanzieren sollen, und dass die anderen im ständigen Rechtfertigungsmodus verharren, zeigt in gewisser Weise die Unterscheidung von Scham- und Schuldkultur. Diese Unterscheidung von der Ethnologin Ruth Benedict gemacht, ist zwar stark umstritten und vielleicht auch überholt, aber womöglich brauchen wir solche Erklärungsansätze, um die Banalität unseres Verhaltens zu erkennen.

Benedict teilte die Welt in zwei Kulturen auf, die westliche Welt als Inhaberin der Schuldkultur und die östliche Welt als die Schamkultur. Die Schuld, als ziemlich zentral in der christlichen Religion, soll in diesem kulturellen Sinne meinen, dass man sich seine Vergehen, Fehler, vergangenen Verbrechen und ähnliches eingesteht und dafür entschuldigt. Besonders in Deutschland ist diese Schuldkultur durch den Völkermord an den Juden im zweiten Weltkrieg ausgeprägt. Die ständige Erinnerung an das Verbrechen ist im Geschichtsunterricht, in den Monumenten, Mahnmalen, die überall in Deutschland verbreitet sind, in den dadurch eingeschränkten Äußerungen von Meinungen dazu Bestandteil von Deutschland. Es ist demnach sittlich, dass man seine Fehler und Vergehen zugibt, was eine sehr selbstkritische Haltung erfordert.

Demgegenüber steht die östliche Schamkultur, bei der sich Menschen daraus für Fehler und Vergehen vor Anderen schämen sollen. Hier sind besonders äußerliche Institutionen, wie Gesellschaft, Gruppe und sonstige Außenstehende kritisch und das Maß der Dinge. Vergehen, die von Außenstehenden nicht bemerkt wurden, sind auch nicht beschämend. Besonders engen und vertrauten Gruppen, wie Familie, Gemeinschaften ist man verpflichtet. Mit einem Vergehen ist das Gesicht beschmutzt, und kaum bis gar nicht mehr wieder gut zu machen.

Was dies nun mit IS und den Muslimen zu tun hat, zeigt sich in der zuvor geschriebenen Forderung, dass sich doch die Muslime für die IS schämen, und ihre Schuld eingestehen sollen. Das drängt Muslime immer in Rechtfertigungsnot, als wären sie Schuldige, und dennoch ist ihr vermeintliches Vergehen kaum gut zu machen, so als wären sie Beschämte.

Aber warum besteht die Forderung gegenüber Muslimen, Stellung zur IS zu nehmen? Warum erwartet niemand, dass sich der evangelische Bäcker um die Ecke für den KuKlux-Clan, die sich ja auch auf die Bibel stützen, oder gar für Adolf Hitler, der dachte im Sinne des Schöpfers zu handeln, rechtfertigt oder nur Stellung zu beziehen? Warum muss kein Deutscher Stellung zu Nazis nehmen?

Weil sie Wissen davon haben, wie es wirklich ist. Sie kennen das Wesen der christlichen Religion, sie wissen, was Demokratie ist und somit gegenseitige Anerkennung. Und dieses Wissen bewahrt sie vor solchen Verallgemeinerungen und Stellungnahmen, weil sie nichts damit zu tun haben.

Wenn also einige meinen, man müsse Muslime dazu drängen, Stellung zu IS und den anderen terroristischen Gruppierungen zu nehmen, weil sie ja auch Muslime sind, dann deutet das vielmehr auf die Unwissenheit und die mangelnde Bereitschaft, die Muslime in Deutschland kennen zu wollen, hin. Kein Muslim muss für die IS Stellung nehmen oder ihre vermeintlichen quranischen Taten durch den Quran irgendwie rechtfertigen, weil sie nichts damit zu tun haben.

Man macht es natürlich den Außenstehenden leicht, wenn man ständig wieder darauf hinweist, dass sie das nicht im meinen Namen tun. Noch leichter ist es, wie der Focus es tat, indem er die Vorurteile durch die islamischen „Wahrheiten“ genährt hat, was an Unwissenschaftlichkeit und falschen Schlussfolgerungen kaum zu übertreffen ist.

Aber von einer Kultur, die Eigenschaften wie demokratisch, rechtsstaatlich, freiheitlich, aufgeklärt, fortschrittlich und zivilisiert beansprucht, kann man doch wohl erwarten, dass sie diese Anstrengung des Differenzierens selber aufnimmt. Eine Tat aus Eigeninitiative wäre bspw. unvoreingenommen und auf gleicher Augenhöhe „mit“ den Muslimen und ihren Intellektuellen zu sprechen.

Und ich möchte nun einen der größten muslimischen Denker zitieren, welcher der Islam hervorgebracht hat: „Es gibt keinen Reichtum wie den Verstand, und keine Armut wie die Unwissenheit, kein Erbe wie gutes Benehmen und keine Unterstützung wie die gegenseitige Beratung.“ – Ali ibn Abi Talib

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