DIALOG.FÖRDERUNG.PARTIZIPATION.

Was es bedeutet, ein Mensch zu sein und das Menschsein aufzugeben…

Jasmin Mazraani

An jedem Jahresende blicke ich zurück, und hoffe, dass die schönen Dinge weiter bestehen und dass die hässlichen und schlechten Dinge bloß in diesem Jahr zurück bleiben.
An jedem Jahresanfang hoffe ich, dass dieses Jahr besser wird als das Vorherige, obwohl es immer so war, dass es das vorherige Jahr an Leid, Korruption, Grausamkeit und Unmenschlichkeit übertraf.
Das Jahr 2015 ist gerade Mal anderthalb Monate alt und es steht dem Vorherigen bereits jetzt in nichts nach. Zahlreiche Anschläge und Morde im Irak, Syrien, Pakistan, Frankreich, Deutschland, USA etc. gab es bereits. Und es werden Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt, Familien erschießen sich, Frauen und Kinder sind verschleppt und verkauft, mehreren Menschen wurde auf einen Schlag das Leben entrissen, man lässt Menschen, die flüchten, ertrinken, ohne dass sie sich irgendeine Schuld haben zukommen lassen.

Was bedeutet es heute noch, Mensch zu sein? Wie würden die Mörder von Irak, Syrien, Pakistan, Paris, Deutschland, USA und alle anderen Mörder unschuldiger Seelen, das Menschsein definieren? Was ist der Mensch für jene Leute, die andere als Kollateralschaden betrachten, wenn sie vermeintliche Terroristen mit Drohnen töten? Oder für jene, die für ihren eigenen Gott andere Menschen töten, als wären sie Geschöpfe anderer Götter? Wie definiert jener den Menschen, der andere bis zur Ausgebranntheit arbeiten lässt, verkauft, mit ihm handelt, nur um eigenes besseres Leben zu haben?

Was bedeutet es, einen Menschen zu töten? Eine Seele, die Hoffnungen hat, die Gedanken über ihr Geschick hegt, die Freude erlebt, die Träume hat, die sich Ziele des Glücks setzt, die Geschichte durch ihr Leben geschrieben hat und in die Zukunft blickt und dann mit einem Funken, mit einem Hieb, mit einer Kugel, mit einem Wort in einem Moment diese Hoffnungen, Gedanken, Freude, Träume, Glück und Geschichte beendet, einfach so…?

Ich zitiere häufig gerne den Vers aus dem Quran, der die Bedeutung des Menschseins und das der Tötung eines Menschen auf eindrucksvollster Weise beschreibt und der diese Beschreibung bereits den Kindern Israels ans Herz legte: „Aus diesem Grund haben Wir den Kindern Israels vorgeschrieben: Wenn einer eine Seele tötet, jedoch nicht wegen eines Mordes oder weil sie auf der Erde Unheil stiftet, so ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet. Und wenn jemand sie (die Seele) am Leben erhält, so ist es, als hätte er die ganze Menschheit am Leben erhalten…“ (Sure 5 Vers 32)

Ein Mensch zu sein, bedeutet demnach gleich dem Wert der ganzen Menschheit zu sein. Das Gewicht eines Menschen ist gleich dem der ganzen Menschheit. Was für ein wundervolles Bild vom Menschen.
Ein Menschsein aufzugeben, sei es dadurch, dass man eine unschuldige Seele demütigt oder tötet, ist demnach ein Verbrechen gegen die ganze Menschheit. Man hat einen Menschen, der Hoffnung gegenüber anderen Menschen hat, Glück mit anderen teilt und Vertrauen gegenüber anderen Menschen hegt, als Teil dieser ganzen Menschen hinweg genommen.

Dass so ein Verständnis von Menschen fehlt, wird oft islamistischen Terroristen, bisweilen der ganzen Religion, vorgeworfen. Aber dass ein unmenschliches und ein gottloses Menschenbild, dass andere Menschen in ihrer Wertigkeit herabstuft, nur weil sie in einem bestimmten Ort der Welt leben, oder einer bestimmten Religion oder einem bestimmten Volk angehören, oder weil sie bestimmte Überzeugungen haben, die einem zuwider laufen, nichts mit einer Religion zu tun hat, zeigt der jüngste Fall von kaltblutigem Mord.

Am 11.02.2015 hat ein radikaler Atheist drei muslimische Studenten in den USA, Chapel Hill, aus nächster Nähe in den Kopf geschossen. Innerhalb weniger Momente hat man die Geschichte, Hoffnungen, Liebe, Gedanken, Träume und Zukunft drei unschuldiger Seelen einfach so hinweg genommen, hat man sich drei Male an der Menschheit vergangen. Zwei dieser Getöteten wollten Zahnärzte werden, ihre Schwester hat die Welt in ihrer eigenen Kunst den Menschen nahe gebracht, sie haben den Menschen geholfen, ihre Versorgung gesichert, weil es sonst kein anderer tat, ihre Gesichter sind so voller Liebe und Hoffnung, und das Gesicht des Hasses hat es ihnen runter gerissen in einem einzigen Moment.
Und die globale Reaktion darauf?… Ernüchternd.

Man zeigte überwältigende Solidarität mit den Getöteten von Charlie Hebdo in Paris am 07.01.2015, die von verachtenden, unmenschlichen Mördern getötet wurden und die Menschen in Angst versetzten. Und diese Anteilnahme war ein schönes Bild von Menschlichkeit.
Freiheit! hat man den Terroristen laut ins Gesicht geschrien, und sie erhoben ihre westlichen Werte, indem sie eine Karikatur des Heiligen Propheten Muhammad wieder druckten, und die enorme Absatzzahlen brachte. Mit der Bekennung „Je suis Charlie“ wurde dies zu einer Bekennung zur Freiheit. Dass ein Blatt, das Diffamierung anderer als Arbeit hat, als ein Symbol der Freiheit wurde, zeigt, welche Gesinnung wir heute haben.

Zur Zeit der Aufklärung, wo man ebenfalls laut ‚Freiheit‘ schrie und die Menschen sich von den geistigen Fesseln damaliger herrschender Ideologien entledigten, haben genau diese Menschen erstaunliche Pionierarbeit geleistet, sie haben erhabene Gedanken vorgetragen und die Entwicklung des Geistes damit angetrieben. Das sollte ein immerwährendes Symbol der Freiheit sein.

Heute wurden drei Studenten getötet, deren Leben soviel Gutes für die Menschen bewirkte und die einer Religion angehören, die sie genau zu diesem Guten antreibt. Dass die ernüchternde Anteilnahme seitens der Welt diese drei Menschen, und auch alle getöteten Seelen, die einfach vergessen werden, nicht einmal eines Symbols der Menschlichkeit würdigt, zeigt ebenfalls, was für eine Gesinnung wir haben.
Wir schreien laut Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden, Menschenrechte und Liebe, aber wir handeln nicht ansatzweise so, als würde es diese Werte jemals für alle geben.

Wir sollten unser Menschsein überdenken. Jeder sollte es, der Jude, der Christ, der Muslim, der Atheist, der Gläubige und der Nicht-Gläubige. Wir sind alle verantwortlich.
Im Gedenken aller getöteten Menschen: Je suis humain! I am a human being! Ich bin ein Mensch…

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