[Die Vereinsrede wurde von den Mitgliedern Saineb Alan Eddine und Samar Hejazi gehalten]
Wir haben Sie eingeladen, um mit Ihnen über ein Thema zu sprechen, welches eigentlich keiner großen Worte bedarf. Wir möchten über Rechte sprechen und Rechte müssen nicht diskutiert, sondern gewährt werden. Es geht um das Leben in Sicherheit, ohne Angst, ein Leben ohne Hunger, ein Leben ohne Gewalt und Krieg. Dass dies jedoch ernsthaft zur Diskussion, oftmals mit rassistischem Unterton, freigegeben wird, stellt den zivilisatorischen Anspruch von Gesellschaften und einer gesamten Werte-Union in Frage.
Seit Anfang des Jahres starben bereits rund 1.800 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer nach Europa. Geflohen aus ihren Heimatländern wie, Syrien, Irak, Afghanistan oder den nordafrikanischen Ländern. Menschen, die Europa nicht aufsuchten, weil sie Luxusprodukte und die Sozialsysteme im Blick hatten, sondern weil sie lediglich keinen anderen Ausweg mehr hatten. Das auch das erklärt werden, zeigt in welche gefährliche Richtung die öffentliche Debatte geht.
Europa ist der Ort auf dem die Menschen sich ein besseres Leben erhoffen. Der Ort, in dem ihr Leben nicht bedroht und ihre Lebensgrundlagen nicht zerstört werden. Ein Ort, der seine schützende Hand über die unverlierbaren Menschenrechte breitet und jedem Menschen die Chance auf ein neues und selbstbestimmtes Leben gibt.?? Denn in ihren Heimatländern sind derzeit keine Perspektiven ersichtlich. Mit diesem Funken Hoffnung setzen sich die Menschen der Lebensgefahr aus von Schleppern über das Mittelmeer an die europäischen Außengrenzen gebracht zu werden. Nach den Strapazen des Meeres folgt die Abweisung an der Küste, der Rassismus in den Behörden und eine Empathielosigkeit, die es vermag, aus Menschen Vorgangsnummern zu machen, Nummern, ohne ein Schicksal, ohne eine Geschichte der Tragödie und ohne Träume.
In Italien und Griechenland sind bis Anfang Mai rund 40.000 schutzsuchende Flüchtlinge gelandet, einigen droht aufgrund der unangemessenen Versorgung die Obdachlosigkeit. Hier wird die Frage nach der EU laut? Was tut sie?
Die EU wird sehr früh aktiv. Bereits bevor die Flüchtlinge den afrikanischen Kontinent verlassen, werden sie in Kooperation mit den Staaten rund ums Mittelmeer gestoppt, unwürdig untergebracht, um dann wieder zurück geschickt werden. Frontex plant nun wieder Auffanglager außerhalb der EU, unser Innenminister begrüßt diesen Vorschlag.
Im Dubliner Abkommen sieht die EU eine Zwangsverteilung von Flüchtlingen vor. Es wird keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der Betroffenen genommen, die das völlig legitime Interesse verfolgen, dorthin zu fliehen, wo sie vielleicht auf Angehörige, Freunde oder Bekannte treffen, die ihnen die Integration in dem ihnen fremden Land erleichtern könnten. Doch damit die fliehenden Menschen erst gar nicht in Europa ankommen, haben europas Außen- und Verteidigungsminister beschlossen, von Schiffen und Flugzeugen aus, die Routen der Schlepper zu beobachten und sie dann zu stören. Eine europäische Militärmission soll die Schlepper jagen und die Boote vernichten.
Es wird lediglich über die Illegalität der Taten Schlepper gesprochen, als ginge es ernsthaft darum. Geht es hier nicht um Leben und Tod? Und was ist mit denen, die lebendig nach Europa kommen? Was erwartet sie? Nun wissen wir, dass unter Anderem einige Bundesbeamte auf sie warten, um Rassismus in Wort und Tat zu leben.
Und nicht erst ab heute wissen wir, dass derjenige, der Wind sät, Sturm ernten wird. Dies ist die Antwort auf jene an Stammtischen und in Parteizentralen, die die Stimme erheben und sagen: Wir sind doch nicht das Sozialamt dieser Welt. Ja, es stimmt. Ihr seid nicht das Sozialamt und was noch mehr stimmt ist, dass die Flüchtlinge keine Bettler sind. Sie aber auch nicht so vergesslich, wie es eingie in Europa sind. Wir haben uns vorgestellt, was ein Flüchtling sagen würde:
„Liebes Europa,
ich kam nicht freiwillig zu dir. Du hast mich gezwungen. Du stahlst meinen Vorfahren ihre Würde, verfrachtetest und verkauftest sie. Du nahmst ihnen ihre Zukunft, und unsere Identität.
Du errichtetest Kolonien, nahmst jeden Schatz und jede Frucht. Und als du gingst, hast du Herrscher hinterlassen, die dich vertreten. Sie tragen deinen Skrupel, deine Gier und deine Waffen in den Händen.
Liebes Europa,
ich habe deinen 10-Punkte-Plan nach den Mittelmeerkatastrophen gründlich gelesen. Er ist genau so rücksichtslos wie die letzten Jahrhunderte, die wir gemeinsam hatten. Liebes Europa, behalte deinen Plan.
Liebes Europa,
lass mich doch bitte in Ruhe. Misch dich nicht mehr in meine Angelegenheiten ein, lass die Finger von unseren Ressourcen und zettle keine Kriege mehr an, um deine Waffen zu verkaufen. Halte dich bitte daran, und wir steigen auf keine Boote mehr. Versprochen. Und wenn du jemals Hilfe brauchen solltest und Boote in unsere Richtung besteigst, so bist du herzlich willkommen. Ich werde dich nicht ertrinken lassen.“ [Auszüge eines Artikels von Mehdi Chahrour]