DIALOG.FÖRDERUNG.PARTIZIPATION.

Mehr oder Minder – Das innere Erleben von Rassismus

Jasmin Mazraani

Der Mord an George Floyd ist ein Wendepunkt von globalem Ausmaß. Es zeigt, wie die Welt und ihre Bevölkerung eigentlich miteinander verstrickt sind, wie betroffen man ist von einer Tat, die tausende Kilometer entfernt an einer fremden Person von einer fremden Person begangen wurde.

Ich habe vor einigen Tagen zufällig mein Autoradio angeschaltet und es lief ein Lied aus meiner Jugendzeit, das ich damals sehr ergreifend fand. Es hat mein damaliges Selbstverständnis geprägt und löste in mir eine Anteilnahme mit dem Inhalt und der Lebensweise aus. Ich hörte es und in mir kamen die Gefühle und Gedanken von damals wieder auf. Und es passte genau zu dieser Zeit und auch in unsere Zeit. Es war das Lied „Changes“ von Tupac Shakur. Auch wenn Tupac sicher nicht das umfassende Vorbild und seine Wortwahl nicht etwas ist, was man seinen Kindern gerne zu hören gibt, so drückt er einen ganz bestimmten Zeitgeist aus und seine Wortwahl war für die angemessen, die in diesem kollektiven Kampf lebten.

Eine Zeile aus diesem Lied geht, wie folgt: „Cops give a damn about a Negro, pull the trigger, kill a nigg, he’s a hero, give the crack to the kids who the hell cares, one less hungry mouth on the welfare.“ („Polizisten scheren sich einen Dreck um Schwarze, drück den Abzug, töte den Nigg, so wird er ein Held, gib den Kindern Crack, wen zum Teufel interessiert das, ein hungriges Maul weniger für die Sozialhilfe“)

Diese Zeile sagt sehr viel aus, sie zeigt das Selbstverständnis von diskriminierten Menschen in so einer verletzten Weise. Der Staat wertet die schwarze Minorität ab, tötet sie gar. Es interessiert niemanden, was aus dieser Minorität wird, im besten Fall stirbt sie, um den Staat nicht auf der Tasche zu liegen. Auch wenn „pull the trigger“ „den Abzug einer Waffe zu betätigen“ bedeutet, kam mir doch zuerst der traumatische Trigger in den Sinn, also der Auslöser, der ein Trauma wieder aktiviert. Zwei Bedeutungen, die gleichermaßen passen.

Ich weiß nicht, ob Tupac diese Bedeutung meinte, aber auf diese Weise wirken rassistische und diskriminierende Erlebnisse. Bei manchen Menschen, besonders mit dunkler Hautfarbe, vielleicht sogar intensiver. Man ist beim ersten und zweiten Mal einfach nur starr, überwältigt von so viel Hass eines Menschen, der einen so abwertet, von so viel Ignoranz, dass man es nicht zu glauben vermag. Es ist ein zerreißendes Gefühl, das du nicht los wirst, weil es dich für etwas verurteilt, wofür dich nichts kannst. Es ist Scham, also jenes Gefühl, dass dich für die Art, wie du bist, verdammt. Es ist Schuld für die Sünde, dass du fremd bist, egal wie integriert du bist. Man ist eingesperrt mit diesem Schmerz, der dich nicht loslässt, der dich so verletzt, als würde jemand Steine in deine Brust werfen und sie wollen explodieren.

Dieses Gefühl lässt dich innerlich so brodeln, wie damals als ich in einem vollen Zug von einer weißen Frau abschätzig mehrmals angeblickt wurde, die sich dann empört wegsaß und lauthals rief, dass sie sich im Kampf für die Frauenrechte so einsetzte und sie heutzutage jemanden wie mich (kopftuchtragende, mehr oder minder arabisch-aussehende Muslima) anschauen müsste. In meinen Inneren standen alle Anteile entrüstet auf und schrien einen verurteilenden Wortschwall gegen diese Frau, aber draußen war es ruhig, niemand sagte etwas, auch ich nicht. Ich war erstarrt und überwältigt und scheinbar auch die anderen Menschen im Zug, nur dass sie meinen Schmerz nicht fühlen mussten.

Seitdem triggert mich jede Zugfahrt und Menschenmenge und mein Inneres spielt den Film wieder ab. Dieses Mal weiß ich, was ich zu sagen habe und ich spüre diese Kraft, aber es passiert keine Situation, in der ich das äußern kann. Ich schaue jede weiße Person misstrauisch an, meine Mimik verzerrt sich dann wieder zu einem lächelnden Gesicht, um nicht als miesgrämige und böse Muslima zu gelten. Und wieder in einem anderen Moment bereitet es sich entschlossen und präventiv auf einen blöden Spruch oder Blick vor.

Zu einer Minderheit zu gehören, bedeutet vor allem, sich zu dissoziieren oder wie der Sozialpsychologe Gordon W. Allport sagte, sich „einer sanften sozialen Bewusstseinsspaltung“ zu unterziehen. Man spaltet sich, um einerseits der Mehrheit wohlwollend seine Integrationsbemühungen zu beweisen, obwohl sie einen ständig verletzen. Und andererseits seine Überzeugung und sich selbst dennoch irgendwie auszuleben. Aber meine Kampfbereitschaft hat sich ausgezahlt, mir fällt es jetzt leichter, in solchen Situationen etwas zu sagen, mich zu empören. Aber hey, nicht zu viel, man will ja nicht als Unruhestifter gelten, als jemand undankbares. Wir spielen ein Theaterstück, um dem Master ja nicht zu beunruhigen und wütend werden zu lassen. Und so rufen Geistliche, Gelehrte und Geschwister der eigenen Community dazu auf, sich noch mehr zu bemühen, noch mehr zu streben, noch besser zu sein, sich ja gut zu verhalten, immer nur zu leisten, um sich in der weißen, nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft behaupten zu können und das gute Bild einer/s guten und vorbildlichen Muslima zu erhalten, während hinter diesem Bild ein schmerzverzerrtes und entmutigtes Gesicht steckt, und bis ein migrantischer Muslim den nächsten Fehler begeht.

Tupac sagte einmal in einem Interview, dass er nur weiß, wie er für sich verantwortlich ist, er wisse nicht, wie man für die Tat eines anderen schwarzen Mannes verantwortlich sein kann. Ich weiß es auch nicht, wie man für die schlechte Tat eines anderen verantwortlich sein kann, aber ich bin es irgendwie, wenn ich nach einem Terrorakt sogenannter extremistischen Muslime von allen schief angeschaut werde, wenn Talkshows mit Titeln wie „Allahs Krieger im Westen – wie gefährlich sind radikale Muslime“ über die hiesigen Muslime sprechen, wenn in mir selbst der Gedanke aufkommt „Bitte nicht wieder ein sog. Muslim“. Und meine verstärkten Bestrebungen zuvor scheinen wertlos geworden zu sein und das Theaterstück fängt von vorne an. Während bei Angriffen auf Muslime ständig nur gemutmaßt wird, ob es ein islamfeindlich oder rassistisch motivierter Angriff war, unabhängig davon, dass der Angreifer selbst das Muslimsein zum Angriff in seinen Worten nutzte.

Und dann, wenn du in eine Situation kommst, in der die Hautfarbe, die Religion, das Aussehen keine Relevanz haben, man dich so behandelt und schätzt, als wärst du Erika aus dem südwestfälischen Dorf, dann wirkt das tatsächlich erstmal befremdlich. Man ist darauf nicht vorbereitet, obwohl man das ständig fordert. Es ist so, als würden deine Präventionskräfte nicht mehr gefragt werden. Sich daran zu gewöhnen, fällt immer leichter und es fühlt sich gut an. Aber dann kommt sie wieder, die vertraute Situation. Wenn ich in einem Seminar mit weißen Deutschen sitze und die Seminarleiterin nur mich, die einzige kopftuchtragende Muslima mit arabischen Migrationshintergrund und deutsch-hybriden Selbstbild, fragt, ob ich denn alles verstanden habe, dann ist die innere Aufregung und Empörung wieder groß und ich hätte ihr am liebsten meine drei akademischen Abschlüsse ins Gesicht geschlagen und gerufen: JA, VERDAMMT. Oder die lästige Frage „Woher kommst du?“, die impliziert, dass du ja eigentlich nicht gar nicht hier hin gehörst und von irgendwoher kamst. Dass man in Südwestfalen geboren ist und da herkam, wird dann oft mit der Zusatzfrage „woher kommst du wirklich?“ nicht akzeptiert, so als würde man lügen. Aber das zeigt, wer hier die Deutungshoheit hat. Diese Situationen werden wieder normal, man erwartet es schon irgendwie, es wird langsam zu einem Teil der Identität. Der Teil, der auf Krawall aus ist, der kämpfen möchte. Der aber dann in der konkreten Situation einknickt. Es ist so, als sei man ständig in einer Krise, in der man keine Bewältigungsmethoden entwickeln kann. Man will nach dieser Abwertung nicht noch der Mittelpunkt werden. Man zieht sich zurück, in „seine Community“, zu den Leidensgenossen und wir alle feiern uns als die Außenseiter. Wir übernehmen sogar lustigerweise ihre Beleidigungen, um uns anzusprechen. Wir sind die Kanaken und Nigga, und wehe ein Weißer bzw. Deutscher wagt es, uns so anzusprechen. Wir erhöhen uns mit unserem niedrigen Stand und amüsieren uns über ihre Alman-Eigenheiten. Und das verbindet den Araber mit dem Türken und Kongolesen. Wir verstehen uns immer mehr nur als solcheund glorifzieren es, könnten aber niemals in diesen Ländern leben, waren vielleicht auch nie dort. Aber das Glorifizieren und die Anerkennung in der Community ist ein guter Zufluchtsort, während wir uns anhören müssen, dass sich Subkulturen bilden, dass wir nebeneinander statt miteinander leben. Ihr macht uns das Miteinander so schwer, ihr schiebt uns an den Rand der Gesellschaft, sodass wir nur nebenher leben können. Beim Versuch, mehr in das Mittendrin zu kommen, wird das Kopftuchmädchen an ihrem Kopftuch wieder an den Rand gezogen. Und entweder hält sie es mit aller Kraft fest oder das Tuch entgleitet ihr vor lauter Druck oder Zugkraft. Derweil machen besonders Frustrierte Unruhe in der Gesellschaft, werden kriminell, verändern die deutsche Sprache, um sie mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen. Sie suchen sich Anerkennung woanders, oft auf schlechte Weise. Sie streben nach symbolischem Status, der sie trotz ihrer Armut reich aussehen lässt. Sie beleidigen andere Gruppen, um sich besser zu fühlen. Wieder andere versuchen sich so dermaßen anzupassen, dass sie einen Hass gegen die eigene Gruppe entwickeln. Man hasst die Dunkelheit seiner Haut, die Krausigkeit seiner Haare, die Größe der Nase, die Masse seines Körpers, das Tuch auf dem Kopf, die Weite seiner Kleidung, die Feste, die man feiert, die Gebete, die man betet, die Sprachen, die man spricht. Man versucht alles, zu „verweißen“, und es verwaist. Es wird angepasst, sodass es akzeptabel wird, dass nicht schon wieder Diskussionen darüber entfachen, damit die Andersheit nicht wieder problematisiert wird. Damit man nicht als Unruhestifter gilt, wird ein so massiver Anpassungsdruck aufgebaut, dass man schon fast jeden Schritt, jede Handbewegung und jedes Wort vorausberechnet und danach analysiert.

Aber ich weigere mich… immer nett zu lächeln, wenn einem die Steine in die Brust geschmissen werden und dann noch dafür gerade zu stehen, dass man beworfen wurde. Ich möchte mich darüber aufregen, wenn mich etwas stört. Ich möchte einen Fehler begehen dürfen, ohne dass man meine Herkunft und meine Religion als Erklärung dafür nutzt. Und wenn ich verletzt werde, möchte ich, dass man sich gefälligst dafür entschuldigt. Und ja ich bin sensibel, wenn man unreflektierte Sprache benutzt und unbedacht mir gegenüber handelt. Ich empöre mich darüber, um zu zeigen, dass es nicht in Ordnung ist, was du tust und zu bestimmen, was immer du willst. Ich bin in keiner Bringschuld, sodass ich jede Ungerechtigkeit über mich ergehen lassen oder jemanden meine angebliche mangelnde Bildung oder Anstand widerlegen muss. Ich will bestimmen, wann ich mich (rassistisch) betroffen fühle und gebe dir nicht die Deutungshoheit darüber. Oder darüber, was mein Glauben und mein Kopftuch zu bedeuten haben.

Rassismus wird oft als Ideologie beschrieben, die ein Machtverhältnis beschreibt, oft zwischen dem weißen, christlichen, überlegenen Mann und den Nicht-Weißen. Daran ist sicherlich was sehr wahres dran. Für mich drückt es aber besonders die Unfähigkeit des Menschen aus, mit der Vielfalt von Menschen umzugehen. Rassismus ist unmenschlich, weil es einfach nicht der Natur der Menschen entspricht. Die Andersheit macht gerade das Menschsein aus, es ist eine unbestreitbare Tatsache. Die Schaffung eines Machtverhältnisses und das sich selbst Erhöhen gegenüber andere zeigt gleichzeitig die Unfähigkeit, mit dieser menschlichen Tatsache (der Verschiedenheit) klar zu kommen, während man die Verschiedenheit gar dämonisiert. Nur ein ganzheitliches, globales Menschenbild kann Rassismus und anderen -Ismen bekämpfen. Sodass wir betroffen sind, wenn in Afghanistan Menschen aufgrund von Terrorismus von wem auch immer getötet werden oder wenn in den USA ein weißer Polizist einen hilferufenden Schwarzen tötet, wenn eine Ingenieurin aufgrund ihres Geschlechts abgelehnt wird.

Aber vielleicht sind wir noch gar nicht an diesem Punkt der „Jeder Mensch ist gleich wert“-Überzeugung angelangt. Wir brauchen mehr Begegnungen, mehr Schmerz und daraufhin mehr Empörung, dann ein umbrechendes Nachdenken, die Veränderung der Strukturen, das Verurteilen, die Normalität der schwarzen, türkischstämmigen, kopftuchtragenden Frau, die im Fernsehen die Nachrichten spricht. Ich habe einen Traum….

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