„Ein Land, in dem die Menschenrechte im Grundgesetz verankert sind, muss in der Lage sein, Menschen vor rassistischen Anschlägen zu schützen, wir Eltern haben schlaflose Nächte. Können die Zuständigen in Ruhe schlafen? Wenn die zuständigen Behörden ihre Arbeit richtig gemacht hätten, würden unsere Kinder noch leben.“
Emis Gürbüz, Mutter von Sedat Gürbüz
Am 19. Februar 2020 versuchten mehrere Tatzeugen gegen 21:56 Uhr die Notrufzentrale zu erreichen, darunter auch der 23-jährige Vili Viorel Paun, der, Ermittlungen nach, dreimal vergeblich den Polizeinotruf wählte. Kurz darauf wurde Vili in seinem Auto vom Täter erschossen.
„Vili hat dreimal die 110 gewählt. Die Polizei war nicht erreichbar. Es gab eine Chance, den Täter zu stoppen und noch mehr Menschen zu retten. Ich bin hundertprozentig sicher, dass Vili selbst überlebt hätte, wenn er durchgekommen wäre.“
Niculescu Paun, Vater von Vili Viorel Paun
Vili (23) wurde wie Ferhat Unvar (22), Gökhan Gültekin (37), Hamza Kurtovic (22), Fatih Saracoglu (34), Said Nesar Hashemi (21), Mercedes Kierpacz (35), Kaloyan Velkov (33) und Sedat Gürbüz (30) zum Opfer von rechtsextremer Gewalt. Aus seiner rassistischen und rechtsextremen Ideologie heraus tötete der Täter neun Menschen an drei verschiedenen nahen gelegenen Orten. Einige der Opfer kannten sich und verbrachten gerade ihren Abend gemeinsam, als der Täter bewaffnet die verschiedenen Tatorte erreichte.
Am 03. Dezember 2021 begann der Untersuchungsausschuss zu den rassistischen Morden in Hanau und hier spielt die Frage nach dem Notausgang in der „Arena Bar & Café“, einem der Tatorte, eine zentrale Rolle.
„Wenn der Notausgang nicht verschlossen gewesen wäre, hätten wir eine Chance gehabt, dem Täter zu entkommen.“
Said Etris Hashemi, Bruder von Said Nesar Hashemi
Auch die nicht Erreichbarkeit der Notrufzentrale ist für eine lückenlose Aufklärung relevant. Ein weiterer Aspekt ist die Vorgeschichte des Täters, welche den Behörden schon in der Vergangenheit bekannt war. Laut einem Gutachten wies der spätere Täter zwischen den Jahren 2001 bis 2005 eine schizophrene Wahnerkrankung auf, immer wieder stellte er dubiöse Anzeigen bei der Polizei in Hanau. Im Jahre 2013 trat er dann einem Schützenverein bei und kaufte sich im Jahr darauf, wie auch später im Jahr 2018, seine ersten Waffen. Zwischen diesem Zeitraum wies er bereits Anzeichen von rechtem- beziehungsweise rassistischem Gedankengut auf. Anschließend reiste er in die USA und besuchte dort eine rechtsradikale islamophobe Gruppierung: die „Knights Templar“. Gegen Ende des Jahres 2019 begann der Täter mit der Vorbereitung der Tat, dazu gehörte das Online-Stellen einer Homepage. Januar 2020 besorgte er dann seine Tatwaffe und die dazu gehörige Munition. Abschließend kam es dann im Februar 2020 zu dem Attentat, durch den neun Menschen ihr Leben verloren.
Vor allem dieses Gutachten legt dar, dass sich der Täter über längerer Zeit radikalisierte und dieser eine Gefährdung für die Gesellschaft darstellte. Den Behörden fiel der Täter schon in vergangenen Jahren auf, sei es durch den Waffenbesitz trotz psychischer Erkrankung als auch durch seine Radikalisierung.
Die Behörden hätten in der Lage gewesen sein können, den rechtsextremen Anschlag zu verhindern. Stattdessen sehen wir fatales Versagen.
Auch noch zwei Jahre nach dem Anschlag fordern die Hinterbliebenen eine lückenlose Aufklärung.
„Keiner hat uns erklärt, wie Kaloyan gestorben ist. Ich frage mich das bis heute. Wie lange es gedauert hat und ob er gelitten hat. Keiner hat uns diese Informationen gegeben, die für uns so wichtig sind.“
Vaska Zlateva, Cousine von Kaloyan Velkov
Rechtsextremismus, Islamhass und Rassismus kommen nicht mehr nur sporadisch vor, sondern sind ein gesamtgesellschaftliches Problem und eine Realität, die vehement von Politikern und Medien verdrängt wird. Der jüngste Angriff gegen ein 17-jähriges Mädchen mit einem Migrationshintergrund in Berlin beweist dies. Dilan S. wurde an einer Tramstation in Berlin von mehreren Erwachsenen belästigt, beleidigt und geschlagen. Aufgrund der Verletzungen musste sie einige Tage im Krankenhaus verbringen. Medien veröffentlichten Berichte, die suggerierten, Dilan hätte keine Maske getragen und wäre dementsprechend belästigt worden. Dies entsprach allerdings nicht der Wahrheit. So richtete sich die 17-Jährige selbst an die Öffentlichkeit und klärte auf, dass dem Angriff ein klares rassistisches Motiv zugrunde liegt.
Rechtspopulistische Parteien und Politiker sitzen im Deutschen Bundestag und können so ungehindert rechte Ideologien verbreiten und Ressentiments bestärken. Es ist höchste Zeit, dass sich Politik und Medien unverhohlen zum rechtsextremistischen, primär islamfeindlichen Problem in Deutschland bekennen und Anschläge an Muslime nicht mehr als Einzelfälle bezeichnen. Diese und weitere Lehren hätte man spätestens nach den NSU-Morden ziehen müssen, auch hier wurden aus rassistischen Motiven 10 Menschen getötet. Verantwortungen müssen eingestanden und Konsequenzen gezogen werden.
Gerade deswegen sind eigene Zivilcourage, Partizipation und eigener politischer sowie gesellschaftlicher Einsatz von großer Bedeutung.
Wir müssen uns vor Augen führen, dass Hanau auch Berlin und jeder weitere Ort hätte sein können. Hanau ist überall und die Namen der Opfer bleiben unvergessen.
„Was wir erleben mussten, das soll nie wieder jemand erleben müssen“.
Hayrettin Saracoglu, Bruder von Fatih Saracoglu
~ Jala Akil